Vaudeville-Theater

Geburtsort des Varietés und der Stummfilmkomik

Vaudevilles waren in Frankreich eine Theater- und Liedgattung, in den achtziger Jahren der neunzehnten Jahrhunderts wurden in den Vereinigten Staaten Varietés und Schaubuden so bezeichnet. Zahlreiche berühmte Komiker gingen dort aus ihnen hervor.

Ich beschäftige mich mit dem Begriff Vaudeville, weil ich mich zur Zeit mit dem Buch SCHAU HEIMWÄRTS, ENGEL! des amerikanischen Schriftstellers THOMAS WOLFE auseinandersetze. Ich untersuche alle Phänomene, Metaphern, Autoren und Begriffe, die im Buch erwähnt werden und mir unbekannt sind.

Es geht um dieses Zitat:

Für Helene und Pearl waren diese Tourneen eine vielversprechende Sache. Die Begeisterung, die ihr Gesang bei den biedern, nach Schweiß und Scholle duftenden Bürgern und Farmern auslöste, machte sie gierig auf größeren Erfolg. Sie hielten sich für Berufssoubretten, lasen die Fachzeitschriften und sahen sich schon als eine mit Lichtreklamen angekündigte, mit schwerem Geld bezahlte, auf lange Zeit in den Großstadtvaudevilles engagierte »große Nummer«.

Quelle: Thomas Wolfe, Schau heimwärts, Engel!, Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg 1954, S. 194.

Das zusammengesetzte Wort Großstadtvaudevilles beinhaltet nur einen unbekannten Begriff, die Vaudevilles. Dieser mehrdeutige Begriff hat im Laufe von 500 Jahren viele Bedeutungswandlungen erfahren.

An den Ufern der Aure

Olivier Basselin

Wahrscheinlich geht der Name Vaudeville auf den singenden normannischen Walkmüller Olivier Basselin zurück, der im 15. Jahrhundert an den Ufern der Aure Trinklieder dichtete. "Aus Vire stammen die Lieder, die man Vaux-de-Vire nennt.", Bourgueville de Bras.

Oder wie die Blätter für die literarische Unterhaltung 1841 schrieben:

Die Chroniken von Caen und Rouen erzählen gar viel von den mancherlei Liedern, - die zu verschiedenen Zeiten in den Thälern der Normandie gesungen und von dort aus in die benachbarten Provinzen verbreitet worden; wie die Musikweisen zugleich mit dem Inhalt der Lieder häufig gewechselt, wie besonders die Gesänge eines lustigen Walkmüllers, Olivier Basselin, zu einer gewissen Zeit bei den Bewohnern des Virethales (Unternormandie) beliebt gewesen seien und sich weit über die Grenzen des Virethales hinaus verbreitet, sodaß man sie und ähnliche Lieder Val de Vire, nach dasiger Ausspreche Vau de Vire genannt, woraus allmählich Vau-de-Ville entstanden.

Quelle: Blätter für die literarische Unterhaltung, Jahrgang 1841, Zweiter Band Juli - Dezember, F. U. Brockhaus, Leipzig 1841, Seite 1026

Das Vaudeville war seit dem 15. Jahrhundert als Schlagerlied in Frankreich populär und wurde durch die Franzosen auch nach Kanada exportiert, und gilt als früher Vorläufer des Chansons. Zu bekannten Melodien (timbres), von denen laut Wikipedia Tausende im Umlauf waren, wurden stets neue Texte und Spottlieder gedichtet. Wahrscheinlich der Gebrauch dieser Lieder im Theater hat die neueren Wortbedeutungen angeregt, zum Beispiel den Begriff Vaudeville als Bezeichnung für eine Pariser Theatergattung, bei der in einem einfachen Stück Lieder in Vaudeville-Manier zu bekannten Melodien gesungen wurden, zum Teil auch mit Beteiligung des Publikums.

Als die Vaudeville dann an französischen Theatern im 19. Jahrhundert auch in den Stücken, teils mit lauthalser Beteiligung des Publikums gesungen wurden, änderte sich die Bedeutung des Wortes: Aus den einfachen Trinkliedern war ein Theatergenre geworden. Hauptbestandteil dieses Théatre du Vaudeville waren kleine satirische, politische oder spöttische mehrstrophige Gesangseinlagen, sogenannte Couplets. In der Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden viele solcher Theater, je nach der mehr melodramatischen oder mehr possenhaften Färbung unterschied man Untergattungen wie Drame-Vaudeville, Comédie-Vaudeville oder Folie-Vaudeville. In Paris bestanden Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere spezialisierte Vaudevilletheater, zum Beispiel das Théâtre du Gymnase, Théâtre du Vaudeville, Théâtre des Variétés, Théâtre du Palais-Royal, aber auch in Berlin nannte sich das Königsstädtische Theater Vaudeville-Theater. Es lag einmal am südöstlichen Ende des Potsdamer Platzes war zuvor einmal eine Tuchmanufaktur.

Ein noch existierendes Vaudeville-Theater in Paris ist das Théâtre du Vaudeville. Es lag zunächst an der Rue de Chartres, zog dann um und steht heute immer noch an der Ecke Rue de la Chaussèe d'Antin und Boulevard des Italian. Nach dem Umbau zum Paramount Opéra 1927 ist es seit 2007 das Kino Gaumont Opéra.

Jacques Offenbachs Operetten orientierten sich an diesem Genre. In der spanischen Variante der Operette, der Zarzuela, hat sich die Vaudeville-Tradition der eingelegten bekannten Melodien bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Gerne wurde im 19. Jahrhundert auch der Schlusschor als Vaudeville bezeichnet, bekanntestes Stück ist der Schlusschor in Die Entführung aus dem Serail von W. A. Mozart:

Wer so viel Huld vergessen kann, Den seh' man mit Verachtung an.

Quelle: Libretto: Entführung aus dem Serail

Nährboden für Stars

Die Vaudeville-Theater in den USA

Freddie Frinton

Ein in Deutschland bekannter englischer Vaudeville-Künstler war Freddie Frinton. Freddie Frinton, eigentlich Frederic Bittiner Coo (geboren 17. Januar 1909 in Grimsby, Lincolnshire; † 16. Oktober 1968 in London) war ein englischer Komiker, ist aber in Großbritannien bei weitem nicht so bekannt wie in Deutschland. Mit 14 Jahren begann er in einer Fischfabrik als Packer; dort wurde ihm als 16-Jährigem gekündigt, weil er seine Kollegen durch Witze und Parodien von der Arbeit abhielt. Frintons in Deutschland so berühmter, und jedes Jahr zu Silvester gespielter Fernsehsketch "Dinner for One" geht auf eine Vaudeville-Nummer zurück. In dieser Rolle wurde er in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts so erfolgreich, dass er die Rechte an dem Stück aufkaufte, um die laufenden Tantiemen zu sparen. 1963 nahm der NDR das Stück als "Dinner for One" unter der Regie von Heinz Dunkhase für das Fernsehen auf. Für die Aufnahme erhielt Frinton 4150 Deutsche Mark. Zu mehr Berühmtheit gelang Freddie Frinton in Großbritannien durch seine Serie Meet the Wife - John Lennon verewigte 1967 diese Serie im Beatles-Lied Good Morning Good Morning mit der Zeile It’s time for tea and Meet the Wife ...

Quelle: Wikipedia , Freddie Frinton

Das Wort Vaudeville nahm in den Vereinigten Staaten von Amerika noch einmal eine neue Bedeutung an. In den USA übernahm man aus der französischen Tradition der Chanson-bezogenen Theatern die temporeiche Zusammenstellung von gemischten Nummern in der Art eines Varietés ohne geschlossene Handlung.

Es ist unklar, ob die Nutzung des Begriffs in den USA auf den französischen Begriff Vaudeville zurückzuführen ist. Vielleicht lehnt sich der Begriff lautmalerisch an voix de ville - Stimme der Stadt an, oder er geht auf die berühmten Vertreter der Vaudeville in Paris oder das Königsstädtische Vaudeville-Theater am Potsdamer Platz in Berlin zurück. Die Bezeichnung Vaudeville mit ihrem französischen Anklang mag vornehmer geklungen haben, als die eigentliche Bezeichnung dieser kleinen Varietéstätten, es waren Schaubuden. Auch in den amerikanischen Vaudevilles konnte und durfte mitgesungen werden. In Großbritannien und Frankreich nannte man diesen amerikanischen Theatermix eher Music Hall. Charlie Chaplin startete seine Karriere mit Auftritten in so einer Music Hall.

Der Begriff Vaudeville markierte in den USA die Einführung des so genannten Big Business in die Welt der populären Unterhaltung. Vaudeville-Ketten kämpften um die Vorherrschaft auf dem Unterhaltungsmarkt. Und aus den amerikanischen Vaudevilles mit ihren herumreisenden Varietékünstlern ging wesentlich die Stummfilmkomik und der berühmte amerikanische Slapstick hervor, mit bekannten Persönlichkeiten wie Stan Laurel, Charlie Chaplin und Buster Keaton. Ebenso dazugehören so bekannte Künstler W. C. Fields, die Marx Brothers, Edgar Bergen mit seiner Puppe Charlie McCarthy, Eddie Cantor und die Drei Stooges, die allesamt ihre Karrieren im Vaudeville-Theater begannen.

1885 gründeten die beiden Geschäftsleute Benjamin Franklin Keith und Edward Franklin Albee II ein Unterhaltungsunternehmen und ihre erste Vaudeville-Bühne in Massachusetts, das Boston Bijou Theatre. Continous Show verkündeten die Schilder am Eingang und einen Eintritt von 5 Cent. Im Theater lief täglich, werktags wie am Wochenende, von morgens um 10 Uhr bis abends um 23 Uhr eine kontinuierliche Varieté-Show. Man konnte kommen und gehen wann man wollte, die Nummern wiederholten sich ja regelmässig. (Quelle: https://www.mortaljourney.com )

Das Vaudeville im amerikanischen Bedeutungssinne begann in den 1880er Jahren mit dem Wachsen der Industrie in Nordamerika populär zu werden und erlebte seinen schnellen Niedergang ab den 1920er-Jahren mit dem Aufkommen des Tonfilms, des Radios und in der Großen Depression der 1930er Jahre.

Die beiden größten amerikanischen Vaudeville-Theater-Ketten, Keith-Albee und Orpheum Circuits Inc., fusionierten 1928 zur Keith-Albee-Orpheum Corporation und gingen ein Jahr darauf in dem Filmunternehmen RKO Pictures auf, das diese Häuser sämtlich in Kinos umwandelte. Radio-Keith-Orpheum Pictures Inc. wurde das kleinste unter den sogenannten Big Five der Major Studios; nach der Übernahme durch Howard Hughes 1948 ging das Studio darnieder und war 1955 am Ende.

tl, dr;

Und hätte der Walkmüller Olivier Basselin nicht am Ufer der Aure seine Stoffe gewalkt, wer weiß, ob es diese Lieder gäbe, die Stummfilmkomik und die Chansons, oder ob sie nur einfach anders heißen würden?

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